Foto: Photoagenten – Ben Pakalski

Von Ali Reza Houshami

OFFSTEIN – Alles, was passiert, habe meist einen tieferen Sinn, sagt Sandra Schlegel. Auch wenn das am Anfang manchmal nicht so zu sein scheint. Vor allem dann nicht, wenn man einen schweren Schicksalschlag erleidet. Sandra Schlegel und ihre Familie hatten schon mal eine schwere Zeit durchlebt. Vor fünf Jahren war das. Damals hatte ihre ältere Tochter mit einer schweren Erkrankung zu kämpfen – sie gewann. Und Sandra Schlegel, dankbar darüber, ihre Tochter nicht verloren zu haben, merkte, dass der kaufmännische Beruf, den sie jahrelang ausübte, nicht mehr das Richtige für sie war. „Dafür, dass ich meine Tochter behalten durfte, wollte ich den Menschen etwas zurückgeben, für sie da sein und sie in solch schweren Zeiten auch begleiten.“

Fünf Jahre später sitzt die Offsteinerin in ihrem Wohnzimmer und erklärt mit einer ruhigen Stimme und klaren Sprache, wie sie Trauerrednerin wurde. „Die Idee, diesen Beruf anzugehen, hatte ich schon länger. Als dann eine befreundete Bestatterin erzählte, dass es im Umkreis Bedarf an Trauerrednern gibt, stand mein Entschluss fest.“ Vor rund drei Jahren absolvierte Sandra Schlegel eine Ausbildung in der Trauerredner-Akademie in Frankfurt, heute ist die zweifache Mutter bis zu fünf Mal die Woche auf Beisetzungen. Sie begleitet die Verstorbenen würdevoll auf ihrem letzten Weg, den Hinterbliebenen spendet sie Trost. Bis Sandra Schlegel tatsächlich mit den Angehörigen und Freunden am Tag der Beisetzung am Grab steht, hat sie mit den Angehörigen schon berührende Trauergespräche geführt. Sie erfährt dabei, wie der Mensch war, der verstorben ist, was ihn ausgezeichnet hat und was für Träume er hatte. So gestaltet Sandra Schlegel jede Rede so individuell wie auch der Mensch zu Lebzeiten war. Alle Informationen zu dem Verstorbenen packt Schlegel in eine Geschichte, in welcher der rote Faden nicht fehlen darf. „Für einen Seefahrer beispielsweise hatte ich die Rede so aufgebaut, dass er der Kapitän eines Schiffes ist und die Familie auch in stürmischen Zeiten in ruhige Gewässer zu führen wusste.“

Der Kontakt zwischen Sandra Schlegel und den Trauernden wird gewöhnlich über Bestattungsinstitute hergestellt, sind diese doch meist die ersten Ansprechpartner für Angehörige. Ist jemand verstorben, bleiben bis zur Beisetzung zwischen sieben und zehn Tagen – je nach dem, ob es sich um eine Sarg- oder eine Urnenbestattung handelt. „Mir geht es darum, nach dem Todesfall möglichst schnell mit der Familie in Kontakt zu kommen, um ihnen dadurch zu zeigen, dass jemand für sie da ist und hilft“, sagt Schlegel. Um ein möglichst stimmiges Bild des Verstorbenen zu bekommen, hört die Offsteinerin den Angehörigen in den Trauergesprächen genau zu. Sie erfährt dann meist von fröhlichen Erlebnissen, bekommt lustige Anekdoten mit, die sie mit eigenen Worten in solch einer Form wiedergibt, die den gestorbenen Menschen noch einmal greifbar, sichtbar, gar lebendig werden lässt.

Klassischerweise sind es die Pfarrer, die bei Beerdigungen die Trauerrede halten. „Doch die Bestattungskultur hat sich inzwischen geändert“, sagt Sandra Schlegel. Es gebe unterschiedliche Gründe dafür, weshalb ein Trauerredner die Rolle des Seelsorgers übernimmt: Mal möchten die Betroffenen nichts mit dem Pfarrer beziehungsweise mit der Kirche zu tun haben, mal sind sie in der Gemeinde nicht heimisch und haben keinen Kontakt zum Pfarrer, der zu Zeiten des Priestermangels meist für mehrere Gemeinden zuständig und ohnehin ständig unterwegs und beschäftigt ist. „Natürlich lebt ein Trauerredner auch von der Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt die Offsteinerin. Die Weiterempfehlung sei insbesondere für Anfänger wichtig. Schließlich sei die Konkurrenz nicht gerade klein. Genau lasse sich die Zahl der Trauerredner in der Region nicht beziffern. Bundesweit soll es geschätzt zwischen 500 und 700 Trauerredner geben. Eine Zertifizierung für diesen Beruf sei nicht vorgeschrieben, wie Sandra Schlegel erzählt. „Jeder steht und wirbt für sich“, sagt sie.

Sandra Schlegel hat inzwischen einige Trauerredner kommen und gehen sehen. „Es ist nicht so leicht, solch einem Beruf nachzugehen, wie viele fälschlicherweise glauben.“ Man müsse nicht nur einfühlsam und wortgewandt, sondern vor allem auch ausgeglichen und geistig gesund sein, um die Trauerfeiern als Redner gestalten zu können. Schließlich bekommen Trauerredner Tag für Tag auch Lebensschicksale mit, die sie dann mit nach Hause nehmen, sprich die Erlebnisse im Gespräch mit der Familie verarbeiten. „Das muss aber auch so sein. Es ist nicht so, dass zu einem Zeitpunkt für mich die Arbeit beendet ist. Man ist immer mit den Gedanken bei den Trauernden“, erzählt Sandra Schlegel. Bei allen lasse sie ein Stück ihres Herzens da, bekomme aber gleichzeitig auch viel dafür zurück. Zu vielen Trauernden habe sie noch Kontakt, einige seien zu Freunden geworden.

Sandra Schlegel schaut auf die Uhr, es sind noch etwa zwei Stunden bis zur nächsten Beisetzung. Sie ist schon komplett in schwarz gekleidet, bereit für die Trauerfreier. Würde man einen Blick in Sandra Schlegels Kleiderschrank werfen, würde man unzählige schwarze Kleidungsstücke darin finden. „Schon als Kind habe ich gemerkt, dass mir die Farbe gefällt.“ Während viele diesen dunklen Ton mit dem Tod in Verbindung bringen, ist das für Sandra Schlegel jedoch gar nicht so. Zwar trage sie immer ein schwarzes Element, jedoch könne auch in der Farbe rosa getrauert werden, findet sie. Zumal Männer auf Beerdigungen immer öfter mal in einem braunen beziehungsweise blauen Anzug erscheinen würden. Das ist für Sandra Schlegel auch gut so. Denn der Tod sei schließlich nichts Dunkles und Bedrohliches, sondern gehöre zum Leben dazu. Und dieser letzte Abschnitt, der Abschied, müsse dem Verstorbenen zuliebe so schön gestaltet werden, wie es nur geht.

Quelle: Wormser Zeitung:
http://www.wormser-zeitung.de/lokales/vg-monsheim/offstein/offsteinerin-findet-als-trauerrednerin-die-worte-die-anderen-einer-schwierigen-situation-fehlen_18166988.htm